4.1. Atlantiküberquerung Kanaren-Karibik

Die Zählung der Tage erfolgt immer von Mittag bis Mittag des Folgetages.

Tag01, Donnerstag, 19.11.2015, 11Uhr30. Wir verlassen La Gomera. Vor dem Hafen setzen wir Segel. Der Wind kommt – wie könnte es anders sein – genau von vorne, Südwest. So hab ich mir das gedacht: übern Atlantik auf der Kreuz! Natürlich ist das jetzt nur der abgelenkte Wind zwischen den Inseln. Hoffentlich. Nach einigen Stunden kommt ein komplettes Windloch. Windstille. Abdeckung von Teneriffa. Leider wird nur der Wind abgedeckt. Die Wellen kommen ungehindert in voller Höhe daher. Nach zwei Stunden motoren haben wir die Abdeckung passiert. Der Wind kommt jetzt wie er soll, nämlich von Nordost mit 30 Knoten und 4m Welle. Die ganze Nacht hindurch. Das Frühstück wird zur Herausforderung. Die Brote rutschen vom Teller und die Wurst rutscht von den Broten. Wenigstens der leere Teller bleibt stehen, dank Antirutschmatte. Man braucht eine Hand zum Essen und eine zum Festhalten des restlichen Essens, dann noch eine für die Kaffeetasse und eine zum sich selber Festhalten. Müssen wir noch üben. In der ersten Nacht sehen wir noch zwei weitere Schiffe, dann sind wir allein.

Tag02(FR) verläuft ohne besondere Ereignisse, Wind und Welle gleichbleibend. Wir kommen gut voran, nur das extreme Geschaukel ist anstrengend. Wir schaffen ein Etmal von 140sm.

Tag03(SA): der frisch gekochte Frühstückskaffe verschwindet nach einer Welle hinterm Herd. Nachts begleitet uns eine Gruppe Delfine.

Tag04(SO): Der Spibaumschlitten verbiegt sich beim Bergemanöver wieder. War doch kein Missgeschick von uns beim ersten Mal: das Ding ist einfach so blöde konstruiert, dass es sich bei der Bewegung des Baumes verkeilen muss, und dann vom Baum ausgehebelt wird. Also nicht unser Fehler, aber leider im Moment nicht reparabel, daher haben keine ausgebaumte Genua mehr. Es regnet zwei Mal, die Windstärke variiert von max 35Kn bis min 8Kn. Es ist den ganzen Tag dick bewölkt, die Batterieladung schrumpft ohne Sonne. Wir bekommen die este Windvorhersage übers Satellitentelefon von Andreas geschickt, und die verpricht gleichbleibende Lage. Der abgesprochene Wetterinfodienst funktioniert gut.

Tag05(MO): tagsüber wenig Wind, aber auch weniger Welle, und Sonnenschein! Ein recht gemütlicher Tag, er wird für die Reparatur des Spibaumes genutzt. Die Höhenverstellung wird deaktiviert, damit ist ein Verdrehen und Verkeilen nicht mehr möglich, und der Baum wird um 50cm gekürzt, damit er auch ohne Höhenverstellung nutzbar bleibt. Eine Notlösung, aber wir brauchen den Baum dringend bei Schwachwind mit Welle am Vorwindkurs. Abends und Nachts erfreuen uns noch mehrere Squalls (Starkregenzellen mit Sturmböen), die innerhalb von 20 Minuten auftauchen, aber auch ebenso schnell wieder vorüber sind.

Tag06(DI): der Wind ist stärker, aber wechselnd, dazwischen überholen uns 5 Regenschauer. Ansonsten ist nicht viel los. Die Schaukelei macht jede Tätigkeit sehr anstrengend. Wir haben uns inzwischen soweit an den Rythmus der Wachen gewöhnt, dass wir trotz Geschaukel und Geknarre halbwegs schlafen können.

Tag07(MI): verläuft ohne besondere Vorkommnisse, starker Wind, 5m hohe unangenehme Wellen. Kreuzsee. Am Ende des Tages haben wir erstmals Sichtkontakt zu einem anderen Segelschiff in etwa 2sm Entfernung. Nach ein paar Stunden verlieren wir es wieder aus den Augen.

Tag08(DO): Wind und Welle werden weniger und ermöglichen uns einige Tests mit dem adaptierten Spibaum. Der wird jetzt mit 3 Leinen fixiert gefahren. Setzen und Bergen funktionieren ganz gut, die Genua steht jetzt auch bei schwächerem Wind von Achtern zufiedenstellend. Nur bei allzu viel Welle fällt sie ein und ploppt wieder auf.

Tag09(FR): Schwachwind meist unter 15Kn und zuviel Welle für den Butterfly-Kurs, daher kreuzen wir vorm Wind. Die Frischobst-Reserven gehen langsam zur Neige. Viel länger hätten die Sachen aber eh nicht gehalten. Frisches Gemüse ist aber noch reichlich vorhanden.

Tag10(SA): Wind wird noch schwächer, und die Bootsbewegung durch die Welle lassen die Segel immer wieder einfallen, um dann mit lautem Knall und Durchrütteln des ganzen Bootes wieder aufzuploppen. Wir tüfteln stundenlang an der Idealeinstellung herum. Die gibt es aber nicht. Das nervt schon ziemlich. Die Batterieladung läßt auch zu wünschen übrig. Die Tage sind hier jetzt im Winter nur 11 Stunden lang hell. Die ersten beiden Stunden versteckt sich die Sonne hinter der Passatwolkenlinie. Mit zunehmendem Sonnenstand werden auch die Wolken höher, und bedecken etwa die Hälfte des Himmels. Oft nur kleine Wölckchen wandern mit der Sonne mit und verdecken sie gleich einmal für eine halbe Stunde. Nachmittags fahren wir gegen West in die Sonne und beschatten mit unseren Segeln die Solarpanele. Abends verschwindet die Sonne, ähnlich wie am Morgen für 2 Stunden  in der Dunstschichte, bevor sie unbemerkt untergeht. Zum Batterieladen ist das in Summe knapp zu wenig. Und der Windgenerator fühlt sich beim jetzigen Schwachwind auch nicht mehr zum Stromerzeugen berufen. Etwa alle 3 Tage läuft die Maschine für eine Stunde um das Energiedefizit auszugleichen. Aber wenigstens sind jetzt auch die Wellen kleiner geworden. Gegen Ende des Tages sehen wir ein weiteres Segelboot, das einige Stunden parallel zu uns in ca. 1sm fährt.

Tag11(SO): ein ereignisloser Tag, der Wind ist viel zu schwach, oft unter 10Kn, um Vorwind aufs Ziel zuzufahren. Daher kreuzen wir vorm Wind, was die zurückgelegte Strecke natürlich deutlich verlängert. Und das bei geringer Fahrt. Das gestrige Etmal war gerade einmal 100sm. Etwas deprimierend.

Tag12(MO): der schwache Rückenwind und die kurze chaotische Welle lassen kein angenehmes Segeln zu. Die Stimmung an Bord ist ein bisschen angespannt, wir sind beide etwas gereizt. Im Augenblick macht es uns keinen Spass. Wir fragen uns warum wir uns das antun. Noch einmal? Niemals! In der Nacht steigt die Windstärke dann doch wieder etwas an, sodass man einigermaßen vernünftig fahren kann.
Tag13(DI): Wind ist gut und Welle erträglich, man kann jetzt halbwegs Vorwind fahren. In der Nacht eine der seltenen Begegnungen mit einem anderen Schiff. Selten, aber dafür sehr nah: der Frachter zieht in der Gegenrichtung mit 1/4 Seemeile Abstand vorbei.

Tag14(MI): Wind mit 22 Knoten treibt uns ganz gut vorwärts. Sonniges Wetter läd zu einem Badestopp. Trotz Einholen aller Segel schiebt die Welle Toroa mit fast 3 Knoten weiter. Gut festhalten an der Badeleiter! Man fühlt sich ein bisschen wie ein Angelköder, so an der Badeleiter hängend. Wir sind aber natürlich auch mit einem Gurt gesichert. Das Bad ist erfrischend und angenehm, die Stimmung an Bord hat sich wieder deutlich gebessert.

Tag15(DO): Wind mäßig, Himmel bedeckt, Wellen viel zu hoch, Kreuzsee, das Geschaukel ist widerlich, die Nacht mondlos und stockfinster. Am frühen Morgen beginnt es zu regnen. Zu allem Übel bricht das Genuafall im Masttopp. Das Segel ist mit 2-3 Windungen aufgerollt und rutscht deshalb nur ein kleines Stück herunter. Es bleibt auf Vorwindkurs ein bisschen faltig, aber halbwegs funktionsfähig stehen, solange wir es nicht gröber verändern müssen. Der Tag war für nix.

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Für besseres Verständnis zum Thema „komfortables Segeln am Atlantik“, und weil grad Zeit ist, folgender kleiner Exkurs in eine der täglichen routinemäßigen Verrichtungen an Bord:
Die Bedingungen:
Der Wind kommt mit 12 Knoten von 150Grad Steuerbord, also etwas rechts hinten.
Die Hauptdünung kommt ungefähr aus der gleichen Richtung und ist etwa 4m hoch, und 25m lang. Darüber lagert sich eine wechselnde Kreuzsee mit etwa 1m Höhe, vollkommen chaotisch. Das Boot fährt etwa eine Minute mit 6 Knoten halbwegs geradeaus, und wird dann von einer Dünungswelle 40 Grad nach Steuerbord verdreht, bleibt beinahe stehen, pendelt auf Kurs zurück, Segel fallen ein, Ploppen wieder auf, das Boot beschleunigt wieder langsam. Währenddessen schaukelt es im 3 Sekunden Takt jeweils 30Grad nach links und 30Grad nach rechts. Die Schiffsbewegung entspricht exakt der eines mechanischen Rodeobullen vom Jahrmarkt, nur etwas langsamer. Dafür immerfort. Tag und Nacht. 3 Wochen lang. Ohne Pause. Ein tolles Erlebnis.
Die Aufgabe:
Ein Becher mit Fruchtsaft soll gefüllt und ausgetrunken werden.
Man bewegt sich, nicht ohne sich immer mit mindestens einer Hand irgendwo krampfhaft festzuhalten, auf den Kühlschrank zu. Dort verklemmt man sich mit Füssen, Arsch und Kopf zwischen Küchenzeile und Sitzbank, um wenigstens für Sekunden zwei Hände frei zu haben. Man öffnet den Kühlschrankdeckel und greift hinein. Inzwischen fällt der Deckel wieder zu. Man nimmt trotzdem das Saftpackerl heraus und stellt es vor sich auf die Antirutschmatte. Der freigewordene Platz im Kühlschrank wird sofort durch Nachrutschen und Umfallen des restlichen Inhalts aufgefüllt. Man öffnet mit einer Hand den Drehverschluss, der anschliessend hinunterfällt und unterm Tisch verschwindet. Egal. Die Becher sind daneben in einer Halterung vorbereitet. Natürlich ohne was zu verschütten (haha), schenkt man maximal einen halben Becher voll. Nicht mehr, sonst schwappt es bei der nächsten Welle in 3 Sekunden sicher über. Jetzt brauchen wir den Verschluss wieder. Das Saftpackerl kann natürlich nicht alleine stehenbleiben, also mit dem offenen Packerl in der Hand niederknien und auf allen Vieren (eigentlich Dreien) am Boden nach dem Deckel suchen. Mit etwas Glück findet er sich und lässt sich zuschrauben. Beim Aufstehen wird man von einer Bootsschwingung (man erinnert sich: alle 3 Sekunden) auf die andere Seite geschleudert und rennt gegen irgendeine Ecke. Dann zurück zum Kühlschrank, wie zu Beginn, Deckel auf, reingreifen, und so weiter. Der hat seinen Inhalt inzwischen völlig neu umsortiert. Man benötigt jetzt die zweite Hand (Festhaltehand) um den Kühlschrankinhalt so zu verschieben, dass das Packerl wieder reinpasst. Wer so wie wir die Packerlsäfte gerne mit ein wenig Flaschenwasser verdünnt, hat jetzt das ganze Theater mit dem Wasser noch einmal. Jetzt kann man gemütlich eingekeilt stehend den Becherinhalt austrinken und hoffen, dass man sich nicht anschüttet. Was für ein Spass, wie konnte ich bisher nur ohne ihn leben?
Segeln ist die teuerste und unbequemste Art zu reisen und dabei äusserst langsam nirgends hinzukommen.

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Tag16(FR):  nach genauer Untersuchung des Genuaproblems wird beschlossen, mit der etwas faltigen Genua weiterzufahren, solange es geht. Sollten wir sie zwischendurch doch bergen müssen, werden wir sie danach ersatzweise mit dem Spifall neu hochziehen – so der Plan.

Tag17(SA): Karoline hat ein neues Menue erfunden: Chayotencouscouscurry mit Ananasstückchen. Ganz fein! Ansonsten passiert nichts Aufregendes. Schwacher Wind, zuviel Welle, öde Schüttelei.

Tag18(SO): leider haben wir vergessen, für den 6.Dez. Schokoladenikoläuse mitzunehmen. Daher gibt es an diesem Tag keine süße Überraschung. Auch sonst nichts Neues, alles wie immer: schwacher Wind, zuviel Welle. Nachmittags jede Stunde ein Regenschauer. Segeln ist schön.

Tag19(MO): Wir kreuzen wieder vorm Wind. Das erhöht die Fahrgeschwindigkeit, auch wenn es den Weg verlängert. Die Schrägfahrt zur Welle macht diese ein bisschen weniger ekelhaft weil die Seitenstabilität des Bootes steigt.

Tag20(DI): am Morgen kreuzt der chinesische Frachter „Weihai“ in einer Entfernung von etwa 1sm unseren Kurs. Sonst passiert nichts mehr an diesem Tag. Wind nur um die 12Kn, aber auch weniger unangenehme Welle. Wir kreuzen weiterhin vorm Wind.

Tag21(MI): schon wieder ein Schiff! Der maltesische Frachter „Cielo di Valparaiso“ passiert uns in 5sm Abstand. Von den rund 250 Segelbooten der ARC und der Atlantic Odyssey, die etwa zur gleichen Zeit wie wir fahren, sehen wir aber gar nichts. Anfangs ganz guter Wind mit wenig welle, wandelt es sich nach kurzer Zeit zum normalen Schwachwind mit viel Welle, aufgelockert von stündlichen Regenschauern mit Böen. Nachts ein Squall mit über 33Knoten Wind lässt diesen Tag zu einem Favoriten für einen Spitzenplatz in der Rangliste der unnötigsten Tage werden. Die beinahe überwundene Unlust am Atlantiksegeln kehrt wieder zurück.

Tag22(DO): in der Früh wieder eine Schiffssichtung, ein Frachter aus Hongkong kommt uns in 6sm Abstand entgegen. Der Rest des Tages verläuft ruhig. Vor der Morgendämmerung sehen wir erstmals Lichter von Barbados. Nach 22 Tagen und knapp 4 Stunden Fahrzeit kommen wir im Hafen von Bridgetown an. Da Bridgetown für kleine Boote ein sehr ungeeigneter Hafen ist fahren wir zum Einklarieren 10Meilen weiter in die nächste Stadt, Port St.Charles.